
Warst du jemals in einem Haus mit einer Säule am Eingang, welche die Gäste in willkommene und unwillkommene Besucher einteilt? Hast du jemals einen Schriftsteller kennengelernt, der – um sein Buch herauszugeben und bekannt zu werden – das Gerücht verbreitete, vom Pferd gefallen und gestorben zu sein? Hast du schon ein italienisches Sandwich Namens „tramezzino“ probiert? Möchtest du wissen, wer dieses Wort erfunden hat? Wenn du mehr über einen der abergläubischsten Männer der Welt entdecken möchtest, der nur an fünf Todsünden glaubte, dann begleite mich .. zum italienischen Sieges-Schrein am Gardasee! Wir besuchen die Villa von Gabriele D’Annunzio, ein italienischer Schriftsteller, Journalist, Theaterautor, Politiker und Soldat während des 1. Weltkrieges!
Gastfreundschaft: willkommen oder unwillkommen?
Das erste, was man beim Betreten der Villa von D’Annunzio, die sogenannte „Prioria“, bemerkt, ist die Säule oberhalb der Treppe. Daneben befinden sich 2 Empfangsräume, die D’Annunzio dazu dienten, Gäste einzuteilen. Wenn er dich links von der Säule hereinbat, warst du ein glücklicher, willkommener Gast. Wer rechts hereingelassen wurde, war nicht willkommen und musste manchmal Stunden warten, um den Hausherrn zu treffen. Einer der nicht willkommenen Gäste von D’Annunzio war Benito Mussolini, der einige Stunden warten musste, bevor der Besitzer im Maskenraum erschien.

Oberhalb des Spiegels in diesem Raum kann man die Inschrift sehen, die Mussolini gewidmet ist:
„An den Besucher:
Bringst du den Spiegel des Narziss?
Das ist Bleiglas, mein Maskenmacher.
Pass deine Maske dem Gesicht an,
Aber bedenke stets, du bist aus Glas und ich aus Stahl.“

Die “grosse” Gastfreundschaft D’Annunzios hört jedoch nicht hier auf … natürlich mache ich Spaß! Auf dem Tisch des Cheli-Raums (khelys bedeutet im Griechischen Schildkröte), steht eine ausgestopfte Schildkröte, die sich zu Tode gefressen hat. Sie soll den Gästen als Warnung dienen, nicht zu viel zu essen, um nicht das gleiche Schicksal zu erleiden.

Und erst die Gästetoilette im Vergleich zu D’Annunzios: weder Bidet noch Badewanne. Wozu auch, Gäste waren ja eh nur auf der Durchreise!
Besondere Gäste wie Künstler, Herausgeber und Schriftsteller bat D’Annunzio ins linke, gemütliche Zimmer oder in die Halle der Weltkarte. Außer einem Globus befindet sich in diesem Raum auch der Großteil der Bibliothek, die der frühere Besitzer Henry Thode hinterlassen hat.
Bücher, Amulette und Religion
Ein paar Worte zu den Büchern …. Die große Bibliothek von Henry Thode war einer der Gründe, aus denen D’Annunzio anfangs die Villa gemietet hat und sechs Monate später kaufte. In den darauf folgenden Jahren erweiterte er die Bibliothek von 6.000 auf 33.000 Exemplare. Die Anzahl der Bücher – und nicht nur dieser – ist wirklich beeindruckend!
Was gibt es noch Interessantes? D’Annunzio war ein ausgeprägter Sammler von Amuletten, religiösen Symbolen, wertvollen, magischen Steinen und Metallen. Oh ja, wir sprechen hier über ca. 10.000 Sammlerstücke! Obwohl seine Eltern gläubige Katholiken waren, war die Familie auch sehr abergläubisch. D’Annunzio interessierte sich außerdem sehr für Astrologie und die Bedeutung von Zahlen und Farben. Also, während ihr die Villa besucht, bestaunt die zahlreichen Korallen, Schwäne, Schildkröten, Krokodile, Segelschiffe, Elefanten, Pferde, Pfaue und vieles mehr!
Zwei Gemälde vom Heiligen Franziskus und Klara von Assisi im Eingang, Napoleons Sterbemaske und Dantes Holzschnitt in der Halle der Weltkarte, der Holzschnitt der Madonna von Loreto im Zambracca-Zimmer, Apollos Statue in der Apollo-Veranda, die Statue des Heiligen Sebastian im Lepa-Zimmer, der Säulengang oder die Loggia außerhalb der Villa – von D´Annunzio Michelangelo gewidmet … all dies sind nur ein paar der Zeugnisse der spirituellen Idole des Dichters.
Einige Zeugnisse, aber nicht alle! D’Annunzio überrascht uns nochmal! Dazu muss man nur in das Reliquien-Zimmer gehen. Dort befindet sich die sogenannte Pyramide der Idole: eine Katze mit Kätzchen und zwei chinesische Hunde zuunterst, weiter oben Buddha und oben eine Madonna und 41 Statuen von Engeln, Heiligen, Märtyrern …. All diese Idole und auch die Pyramide selbst übermitteln eine religiöse Überzeugung von D´Annunzio: „Ich strebe nach dem einzigen Gott, suche aber einen souveränen Gott.“

Und wie steht es mit den sieben Todsünden?! Es sind nicht mehr sieben! Kennst du das berühmte Motto von D´Annunzio: „Fünf Finger, fünf Sünden“. Natürlich schloss D´Annunzio die zwei Todsünden aus, die ihm am nächsten lagen: Wollust und Habgier, so daß er dafür nicht riskierte, in die Hölle zu kommen!
Über dem Eingang einer der Räume sieht man das Bild einer verstümmelten Hand, das eine bestimmte Bedeutung hat: D´Annunzio konnte nicht alle Briefe beantworten, vor allem nicht die von Gläubigern.

D’Annunzios Werkstatt “Officina”
Das erste, was einem beim Eintritt in D´Annunzios Werkstatt auffällt, ist die Tür: man muss sich bücken, um hineinzukommen. So stösst man sich nicht den Kopf und huldigt gleichzeitig dem Schriftsteller Respekt! Es durften jedoch nur ein paar wenige Personen die „Officina“ betreten. Einer davon war zum Beispiel der Architekt und gute Freund von D´Annunzio – Gian Carlo Maroni.
Während er seine Bücher schrieb, verhüllte D’Annunzio die Gipsbüste von Eleonora Duse, um nicht von seinen Erinnerungen abgelenkt zu werden und auf das Schreiben seiner Meisterwerke konzentriert zu bleiben. Sie war einer der zahlreichen Frauen, denen der Poet verfallen war.
Leider wissen nur wenige Leute, daß D’Annunzio ein paar Wörter erfunden hat, die später sogar in die italienischen Wörterbücher aufgenommen wurden. Hast du zum Beispiel schon ein „tramezzino“ probiert? Ein italienisches, dreieckiges Sandwich? Hast du schon einmal die Wörter “velivolo” (Flugzeug auf Deutsch) oder “fusoliera” (Flugzeugrumpf auf Deutsch) gehört? Hast du die Wimpel des italienischen Fussballs gesehen – die sogenannten “scudetto”? All diese Wörter sind D’Annunzios Verdienst!
Narzissmus und eine große Leidenschaft für Frauen
D’Annunzio oder Dorian Gray? Ich überlasse dir die Antwort, aber lies erst den folgenden Ausspruch von D’Annunzio: “Italienische Dichtung beginnt mit 200 Versen von Dante und geht dann – nach einer ganzen Weile – mit mir weiter.“
Eine große Leidenschaft für Frauen …. Ich schaffe dich und ich zerstöre dich …. Einige Frauen wurden von ihren Familien und Ehemännern verstoßen, andere landeten im Irrenhaus. Das unstillbare sexuelle Verlangen von D’Annunzio verursachte genügend Schaden bei seinen zahlreichen Liebhaberinnen. Maria Hardouin, Eleonora Duse, Barbara Leoni, Luisa Beccaria, Alessandra di Rudini, Nathalie de Goloubeff sind nur ein paar davon …
Oh, hier noch eine interessante Tatsache ….1922 fiel D’Annunzio aus dem Fenster des Musikzimmers und schwebte für einige Tage zwischen Leben und Tod. Man weiss nicht, was wirklich geschehen ist, aber es wird vermutet, daß er entweder von Luisa Beccaria oder ihrer Schwester Jole aus dem Fenster gestossen wurde, weil er Jole sexuell nachstellte …

Militärische Unternehmungen von D’Annunzio
Wie du weisst, nahm D’Annunzio am 1. Weltkrieg teil, obwohl seine Teilnahme hauptsächlich propagandistischer Art war. Aber er führte auch verschiedene, gefährliche Flüge durch. 1917 wurde er während eines Fluges verwundet, konnte das mit 134 Kugeln durchlöcherte Flugzeug aber trotzdem noch landen! Im gleichen Jahr flog er mehr als 500 km ohne Anhaltspunkte, nur mit Hilfe eines Kompasses und der Sterne, übers Meer. 1918 realisierte er seinen Traum: der Flug über Wien mit 7 Flugzeugen, die 40.000 Flugblätter abwarfen. Im Auditorium kann man das 2-Sitzer-Flugzeug S.V.A. von diesem Flug bestaunen.

1918 nahm D’Annunzio mit der Mas 96 an einem Marineangriff teil. Auch dieses Torpedoboot kann man im Vittoriale bewundern!

Im Jahre 1923 schenkte die italienische Marine D´Annunzio den Panzerkreuzer Puglia. Es benötigte ca. 20 Zugwagons, um ihn an den Gardasee zu bringen. Der Bug zeigt natürlich Richtung Adria, um den Kapitän zu ehren, der während der Besatzung der Dalmatinischen Küste in Split ums Leben kam.
Um den 27 italienischen Siegen während des 1. Weltkrieges zu gedenken, hat D’Annunzio ein Arengo mit 27 Säulen und einer Urne mit Erde aus Kobarid angelegt.

Späteres Leben und Tod
Wie man sieht, sind die Räume der Prioria-Villa sehr dunkel. Durch die Verletzung am rechten Auge während des Flugzeugunglücks, wurde D´Annunzios Sehkraft beeinträchtigt. Außerdem war er der Überzeugung, dass Licht ihn von seinen schriftstellerischen und kreativen Prozessen ablenken würde.
In den letzten Jahren seines Lebens vermied er öffentliche Auftritte: er fand sich nicht mehr so attraktiv. Er verbrachte daher den Großteil seiner Zeit im Zambracca-Zimmer, wo er am 1. März 1938 starb.
Gemäß seinem Testament wurde sein Körper erst für private Familienangehörige im Lepa-Zimmer aufgebahrt (dem sogenannten Zimmer von Geburt und Tod) und dann für die Öffentlichkeit im Büsten-Zimmer.
Theater
Im Park kann man auch das Theater besichtigen. 1931 ging der Architekt Gian Carlo Maroni nach Pompei, um dort die Bauweise des Großen Theaters zu studieren. Leider wurden die Bauarbeiten erst 1952 beendet, so daß es weder D´Annunzio noch Maroni zu Gesicht bekamen. Aber wir können es genießen! Jedes Jahr finden im Theater verschiedene Musikaufführungen statt!

Park
Und was ist mit dem Park?!! Vergesst nicht, den Dalmata-Platz, den großen Garten, das Mausoleum, den Delphin-Brunnen und den See der Tänze anzusehen! Der Park ist beeindruckend und absolut wert, gesehen zu werden!
Viel Spaß beim Entdecken des Vittoriale!
- In der Villa Prioria darf man nicht fotografieren. Die fotos der Artikel sind aus dem Buch Guida alla visita „Il Vittoriale degli Italiani“ Giordano Bruno Guerri und aus den Fotos bei Marco Beck Peccoz